„Einmal Arbeiterkind, immer Arbeiterkind?“ – Warum Herkunft immer noch zählt
Ich bin Juristin. Mediatorin. Volljuristin mit zwei Staatsexamina.
Ich bin Arbeiterkind.
Beides gehört zu mir. Beides prägt mich – bis heute.
So sehr wir als Gesellschaft über Bildungsgerechtigkeit sprechen, so selten benennen wir, wie groß der Einfluss der sozialen Herkunft nach wie vor ist. Dabei machen unsere Wurzeln mehr aus, als wir oft zugeben wollen.
Der lange Weg vom Hauptschulabschluss zum zweiten Staatsexamen
1984 machte ich meinen Mittleren Schulabschluss an einer Gemeinschaftshauptschule. Der Plan: eine Ausbildung zur Schuhverkäuferin. Zwei Wochen später wusste ich, dass das nicht mein Weg war. Mein Traum war klar: Ich wollte Juristin werden.
Ein mutiger Schritt führte mich ans Mariengymnasium Arnsberg – der erste Jahrgang, in dem eine Hauptschülerin das Abitur in drei Jahren schaffte. Ich war diese Schülerin. Und doch blieb ich nicht unbehelligt.
Meine Deutschlehrerin glaubte nicht an mich.
Nicht nur das – sie sagte es offen, vor der ganzen Klasse. „Sie werden niemals Jura studieren.“
Ein Satz, den ich bis heute nicht vergessen habe.
Warum solche Sätze mehr als Worte sind
Sie sind Narben. Unsichtbar, aber tief.
Solche Sätze stehen sinnbildlich für das, was viele Arbeiterkinder erleben: Zweifel, Schranken, Vorurteile.
Was dahintersteht, sind oft unbewusste Denkmuster – #unconsciousbiases –, die uns daran hindern, das Potenzial in Menschen zu sehen, die nicht dem gewohnten akademischen Raster entsprechen.
Dabei brauchen wir genau diese Perspektivenvielfalt – in Bildung, Beruf und Gesellschaft.
Dankbarkeit trifft Engagement
1996 habe ich mein zweites Staatsexamen geschafft.
Heute bin ich stolz auf diesen Weg – nicht trotz, sondern wegen seiner Schwere. Und ich weiß: Ohne Menschen, die an mich geglaubt haben, wäre er so nicht möglich gewesen.
Noch heute unterstütze ich gern als Mentorin, wenn junge Menschen den Weg ins Studium oder ins Berufsleben suchen – oft als Erste in ihrer Familie. Denn ich weiß, wie wertvoll ein „Du schaffst das!“ sein kann, wenn man sonst kaum Bestätigung bekommt.
Was es braucht, damit Herkunft nicht mehr entscheidet
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Bildungsbiografien nicht vorhersehbar sind. Eine Gesellschaft, in der Kinder nicht in Schubladen gesteckt, sondern in ihren Möglichkeiten gesehen werden.
Was wir dafür tun können?
• Mut zur Vielfalt – in Teams, in Klassenzimmern, auf Führungsebenen.
• Bewusstmachung von Vorurteilen – denn oft wirken sie subtil, aber nachhaltig.
• Förderung von Potenzial – unabhängig von Nachnamen, Wohnort oder Bildungsgrad der Eltern.
• Ermutigung statt Entmutigung – gerade dort, wo Menschen gegen viele Widerstände ihren Weg gehen.
Herkunft darf kein Hindernis sein.
Sie gehört zu unserer Geschichte – aber sie sollte nicht unsere Zukunft begrenzen.
Wie sehen Sie das?
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht – als Arbeiterkind, als Lehrkraft, als Führungskraft, als Kolleg:in?
Ich freue mich auf den Austausch – hier oder persönlich.
Mit herzlichen Grüßen,
Monika Hesse-Haake